natacha atlas
Wie kaum ein anderer Künstler trägt Natacha Atlas die Internationalität pur in sich: Ihre ägyptischen Vorfahren wanderten über Palästina, Marokko nach Belgien, wo sie in Brüssel im arabischen Viertel geboren wurde. Dann lebte sie noch etliche Jahre in England, um nun nach Kairo umzusiedeln.
Auch musikalisch verbindet sie Welten: Sei es als Sängerin und Tänzerin von Transglobal Underground aus England oder in Zusammenarbeiten mit anderen Musikern, wie z.B. zum Soundtrack von "Stargate" zusammen mit David Arnold, für Juno Reactors Single "God Is God" oder für das neue Album "Metamorphoses" von Jean Michel Jarre. Als ob dies nicht schon genug Arbeit für einen Menschen wäre, startete sie 1995 mit dem Album "Diaspora" auch noch eine Solokarriere, die sich etwas mehr an traditioneller Musik orientiert.
Am 8.4.1999 machte sie auf ihrer Europa-Tour anläßlich ihres dritten Albums "Gedida" einen Zwischenstop in der Fabrik in Hamburg, wo wir die Chance nutzten, diese vielseitige und sehr selbstbewußte Frau in Electrigger #4 vorzustellen. Dazu konnten wir zum Promotiontermin am 8.2.1999 im Hamburger Radisson/SAS-Hotel auch folgendes Gespräch mit ihr aufnehmen:

Natacha Atlas liveNatacha Atlas liveNatacha Atlas live

In diesem Monat erscheint nun schon Dein drittes Solo-Album - Du hast aber auch schon in vielen anderen Projekten mitgearbeitet. Kannst Du uns ein wenig darüber berichten?
Natacha: Nun, vor dem neuen Album "Gedida" gab es noch einige andere, zum Beispiel mit Transglobal Underground oder mit Jah Wobble. Alles in allem sind das schon ein paar Alben...

Ja! ;-)
Natacha: ;-)

Deiner Zusammenarbeit mit anderen Künstlern entspringt hauptsächlich Musik, die traditionelle und moderne westliche Musik verbindet. Gibt es da besondere Gründe für Dich, sich gerade in solchen Projekten zu engagieren?
Natacha: Etliches von meiner Musik basiert auf traditionellen Klängen. Und darin bewegst du dich dann auf einer eher technischen Ebene der Musik, die vom Westen ausgeht, denke ich. Also wie du etwas aufnimmst, wie du mit den Klängen umgehst und was du mit den Samples machst, das ist alles westlich.
Und die Tonleitern, die Melodien, einige Rhythmen und eine Reihe von Instrumenten sind dann orientalisch. Aber das machen nicht alle Projekte, an denen ich beteiligt bin: Ich meine, das ist eher meine persönliche Sache - und ein wenig auch die von Transglobal - aber im Großen und Ganzen ist das hauptsächlich meine Geschichte.
Aber ich singe auch für Musiker, die rein traditionell arbeiten, und auch für Künstler, die sich nur ein klein wenig in Richtung moderner Musik bewegen.

Weshalb hast Du begonnen, Solo-Alben aufzunehmen? Waren Deine eigenen Ideen nicht ausreichend in den Projekten mit anderen Künstlern repräsentiert?
Natacha: Ich glaube, Transglobal dachte das - sie dachten, wenn sie mich darin bestärken würden, mein eigenes Album zu machen, würde ich mich stärker ausdrücken können.
Also es hat auch sehr viel mit ihren Ansichten und Gefühlen darüber zu tun. Wenn sie mich nicht ermutigt hätten, hätte ich es vielleicht gar nicht gemacht, oder zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt. Vielleicht hätte ich es dann später begonnen - aber sie glaubten fest daran, daß das eine gute Idee ist!

Ja, Transglobal haben ja dann auch Dein erstes Album und die meisten Titel des zweiten und dritten produziert. Woher stammen Deine größten Einflüsse? Dein Vater war jüdisch, Du bist im arabischen Viertel in Brüssel aufgewachsen...
Natacha: Oh, warte mal eine Minute!
Okay!
Natacha: Mein Vater war beides: jüdischer und arabischer Herkunft! In meinem Background habe ich durch die Abstammung meiner Mutter und meinem Vater Judentum, Islam und Christentum. Im Grunde bin ich Muslimin, denn meine Mutter ist nicht jüdischen Glaubens, deshalb bin ich auch nicht jüdisch. Aber auch auf der Seite meiner Mutter stammte einer ihrer muslimischen Ururgroßväter aus dem Mittleren Osten. Also kommt meine Familie aus allen Richtungen.

Zurück zu Deinen Einflüssen: Du bist in Brüssel aufgewachsen, dann nach England umgezogen und möchtest nun in Kairo leben...
Natacha: Nun, ich bin schon umgezogen - ich wohne schon in Kairo. Zur Zeit wohne ich nicht das ganze Jahr dort, nur wenn ich nicht arbeite. Aber vielleicht werde ich mich dort ganz seßhaft machen - zur Zeit habe ich meine Basis in London, weil ein Großteil der Gruppe dort arbeitet. Es kann gut sein, daß ich ganz nach Kairo umziehe und dort mit einem meiner besten Freunde - halb Engländer, halb Ägypter - an meinem vierten Album arbeite. Aber das ist noch eine Weile hin.

Du sprichst ziemlich viele Sprachen, habe ich gehört...
Natacha: Nicht gerade wenige...

Und in welcher Sprache denkst Du?
Natacha: Hmmmh, das ist unterschiedlich.
Du solltest mich eher fragen, in welcher Sprache ich träume, denn das sagt etwas über das Innerste. Ich träume insgesamt in drei Sprachen - es hängt davon ab, wo der Traum spielt: Angenommen ich träume, daß ich in Ägypten bin, träume ich wirklich in Französisch, Arabisch und in Englisch, denn meine Familie und meine Freunde dort sind unterschiedlichster Herkunft. Meine Freunde - einer ist halb Engländer, halb Ägypter und ein anderer ist halb Israeli, halb Ägypter und ein Viertel Niederländer...
Wir drei sprechen zusammen Arabisch, Englisch und Französisch. Und so träume ich: Da ist ein Satz auf Arabisch, dann kommt ein Absatz in Englisch und ab und zu eingeworfen einige Sätze in Französisch. Das verändert sich dauernd.
Sehr international!
Natacha: Ja, das kannst du sagen.

Wie entsteht Deine Musik? Denkst Du zuerst über die Songtexte nach, oder kommen die Ideen für die Musik zuerst?
Natacha: Da gibt es keine festgelegte Reihenfolge: Manchmal sind die Liedtexte zuerst da, manchmal die Melodie und die Akkorde, oder die arabischen Tonleitern, die dann zur Melodie oder zum Rhythmus führen. Es kommt auf die Situation an.

Wurdest Du als Sängerin ausgebildet?
Natacha: Etwas, ja! Nicht so viel wie einige Leute, mit denen ich zusammenarbeite, aber etwas schon.

Sind die vielen Musiker, die an Deinen Alben mitarbeiten, an den Kompositionen beteiligt oder nehmen sie erst bei den Studio-Aufnahmen teil?
Natacha: Einige von ihnen arbeiten nur in den Studio-Sessions mit, andere haben auch etwas mit der Komposition zu tun. Manchmal haben wir bei ein paar Titeln auch jemanden beauftragt, um zusätzliche String-Arrangements zu schreiben.
Es sind schon ziemlich viele Leute daran beteiligt, aber was die Komposition angeht, beschränkt sich das meistens auf ein oder zwei Musiker neben mir.
Wie zum Beispiel "Ezzay" ist hauptsächlich von Tim von Transglobal und mir. "Mahlabeya" entstand zusammen mit Hamid Mantu von Transglobal. "Mon Amie La Rose" war ein sehr bekannter französischer Titel gesungen von Francoise Hardy, aber die musikalische Seite und unsere Interpretation kommt von Tim von Transglobal und mir. Und "The Righteous Path" ist wieder mehr von Hamid Mantu und mir. Also das ist unterschiedlich...
Der englische Titel kommt von David Arnold. Meistens arbeiten wir zu zweit, manchmal sind wir mit Transglobal auch zu dritt.

Das neue Album mußte im Mittleren Osten in einer speziellen Version erscheinen, konnte ich auf der Transglobal Website nachlesen. Ist das wegen politischen oder...
Natacha: Zensur!
Zensur, sicher. Aber ich weiß nicht, Du bist doch ein Künstler, der mit diesen Ländern verbunden ist, denke ich?!
Natacha: Ja, gerade darum behandeln sie mich unterschiedlich. Der Mittlere Osten und der Golf haben eine Sektion mit CDs von westlichen Musikern und die werden nicht zensiert - außer natürlich bei sehr sehr aggressivem oder sexuellem Inhalt. Aber Michael Jackson oder die drei Jungen namens Hanson zum Beispiel, deren CDs werden nicht zensiert.
Aber du siehst, sie betrachten mich anders: Ich gehöre mit zu ihnen, also schenken sie mir ein größeres Augenmerk als sie es bei westlichen Künstlern tun, denn bei ihnen sagt man halt "Oh, das ist eben westlich!". Aber meine Musik ist unterschiedlich: Sie ist mit ihnen verbunden, also denken sie, sehr streng mit mir umgehen zu müssen.
Ich mußte sogar ein wenig die Grammatik für diese Version verbessern! Das ist etwas, das du akzeptieren mußt, wenn du unter diesen Verhältnissen geboren wurdest. Es ist Segen und Fluch in einem - und du lernst, damit zu leben.
Manchmal bin ich entsetzt, denn "Mahlabeya" durfte nicht mit auf diese Version, obwohl das meiner Meinung nach nicht nötig war! Aber du weißt ja, sie haben strikte Regeln!

Siehst Du Dich dann in so einer Position, daß Du dazu beiträgst, diese Regeln die dort existieren, zu durchbrechen?
Natacha: Ich mache, was ich kann. Und ich kann nicht mehr unternehmen als ich jetzt schon tue. Ich meine, ich mache meine Musik und ich weiß, daß - obwohl ich dort zensiert werde - einige meiner Fans trotzdem die Originalversion kaufen, sobald sie mitbekommen haben, daß es da noch eine mit einigen anderen Songs gibt.
Da ist auf jeden Fall ein Weg für sie, das Album zu kaufen - entweder per Import oder wenn sie ein anderes Land besuchen, kaufen sie es eben dort. Also das ist mein Teil, den ich dazu beitragen kann.

Also gibt es eigentlich keine Probleme, die Originalversion zu bekommen!?
Natacha: In diesen Ländern könnte es welche geben, aber irgendwie werden sie es trotzdem schaffen - da gibt es einen Weg!

Vor einem Jahr hatte ich mit Aki Nawaz von Fun’da’mental gesprochen und er hat etliche Erfahrungen mit Rassismus in Europa machen müssen. Hattest Du ähnliche Erlebnisse?
Natacha: Ja, vielleicht nicht so offensichtlich, aber ich hatte sie.

Zur Zeit ist der Asian Underground sehr modern. Denkst Du, daß das nur ein Trend ist oder wird sich diese Musikrichtung in Zukunft etablieren?
Natacha: Also ich denke - ich hoffe, daß es sich in Zukunft etablieren wird, denn ich weiß nicht, wohin sonst sich Musik sonst noch entwickeln kann. Und ich sehe, daß immer mehr Leute asiatischer Abstammung in England solche Verbindungen schaffen wollen. Sie leben in zwei Kulturen, sie sind mit zwei Kulturen aufgewachsen. Immer mehr Leute wachsen mit mehr als einer Kultur auf. Und diese Leute sind nicht auf nur eine Art von Musik oder Essen beschränkt. Sie sind nicht eingeschränkt! Sie sind freier als die arme Person, die nur unter einer Kultur geboren wurde und schon voreingenommen ist und lernen muß, diese Dinge zu mögen oder ein Gefühl dafür zu entwickeln.
Aber da immer mehr Leute unter zwei, drei - oder was auch immer - Kulturen geboren werden, denke ich, daß sich das weiter verbreiten wird.

Denkst Du, daß das helfen wird, andere Kulturen hierzulande besser zu verstehen?
Natacha: Ja, das ist doch der eigentliche Sinn, nehme ich an. Also zumindest sollte es das sein, denke ich. Sicher werden das einige nur als etwas Exotisches betrachten, aber andere beginnen damit, Neues zu entdecken.

Siehst Du Dich selbst als Teil des Asian Underground, denn Du bist ja mehr traditionell als die Drum’n’Bass-Szene oder die...
Natacha: Ja. Ich komme zwar mit Drum’n’Bass in Berührung, bin aber nicht Teil der D’n’B-Szene. Ich bin da eher mit der asiatischen Szene verbunden.

Du hast in vielen Ländern live gespielt, hast Du unterschiedliche Erfahrungen mit dem Publikum dort gemacht?
Natacha: Ähm, ja!
Und welche Erfahrungen?
Natacha: Gute und weniger gute natürlich. Ein sehr angenehmes Publikum, wo du es nicht erwartest, ist beispielsweise in Dänemark. Und dann hast du vielleicht manchmal ein kälteres Publikum z.B. in Italien, wo du ein wärmeres erwartet hättest. Es hängt einfach von den Umständen ab. Es ist schwierig, einfach zu sagen, da und da bekomme ich gute Zuschauer. Mein Hauptpublikum ist natürlich in Frankreich, weil sie dort schon sehr lange Rai hören und auch diesen Mix verschiedener Richtungen. In seiner heutigen Form haben sie ihn schon viel länger gehört als alle anderen. Auch weil ziemlich viele der französischen Einwohner arabischer oder nordafrikanischer Herkunft sind. Und heutzutage gibt es auch da diesen Mix, sie sind z. B. Franco-Arabisch.
Dadurch sind sie und auch die Franzosen selbst dieser Kultur und Musik sehr nahe und nehmen sie auch viel mehr für sich an. Also ist es nur natürlich, daß das mein wichtigster Markt ist. Aber auch Libanon ist sehr gut, denn dort gibt es sehr viele intellektuelle, in die Zukunft denkende Leute. Ähm, Jordanien genauso, sehr gut. Tunesien, Marokko, da gibt es eine Menge guter Orte.
Italien kann ich noch nicht so beurteilen, Spanien vielleicht auch nicht. Und im Mittleren Osten habe ich auch schon gespielt - aber du weiß ja, es ist überall unterschiedlich, wo du auch hingehst, gibt es Gutes und Schlechtes.

Du hast drei Videos für das neue Album aufgenommen, gibt es auch Videos für Deine älteren Alben?
Natacha: Ich habe noch ein paar mehr gemacht - hmmh, mal zählen:
Mein erstes war "Leysh Nat’Arak". Ich habe es hier neulich nachts auf MTV gesehen, zusammen mit Transglobal Underground. Das Zweite: "Yalla Chant", das Dritte: "Amulet" und dann habe ich noch drei an einem Tag gedreht.

Ja, diese Videos habe ich schon auf der Promo-Videokassette gesehen und da hat’s mich einfach interessiert, ob es da noch mehr gibt...
Natacha: Drei mehr, also insgesamt sechs. Was hältst du von den Videos?
Ich habe eher etwas Orientalisches erwartet, sie haben mir aber gut gefallen. Am besten ist "Mistaneek", denke ich.
Natacha: Das ist für die arabischen Länder.

Die Zuschauer im Video reagierten und bewegten sich zu der Musik - in den anderen - dem französischen und dem englischen Song - klatschten sie nur in ihre Hände...
Natacha: Hmmmh... ;-)
Also denke ich, daß "Mistaneek" das beste Video ist.
Natacha: Ja, sie waren mehr entzückt, nicht?
Weil die Regisseurin sagte "Los, ihr könnt tanzen!" und alle sind aufgestanden und haben angefangen, zu tanzen. Ihnen mußte es erst gesagt werden - manchen Leuten muß man eben sagen, was sie tun sollen!

Ja, ich habe für unsere zweite Sendung mit Sam von Loop Guru gesprochen und er hat auch gemeint, daß sich ziemlich viele Leute nicht gehen lassen.
Natacha: Das ist eine ähnliche Sache. Ich denke, die Menschen in Europa sind... Ach, ich weiß nicht - es ist halt Europa!
Der französische Titel hatte viel mehr Emotionen, vielleicht wollten sie ja aufstehen und tanzen. Ich weiß nicht, was es war: Vielleicht hat die Regisseurin gesagt "Bitte bleibt sitzen...", ich weiß es nicht.

Aber ich denke, daß das mit der Musik geht, daß sie bei "Mistaneek" anfangen, zu tanzen.
Natacha: Das sehe ich auch so.

Im französischen Titel tanzt ja ein Paar einen klassischen Tanz.
Natacha: Oh ja, einen Tango oder so. Das war die Idee vom Regisseur ;-)

Was sind denn Deine Pläne für die Zukunft?
Natacha: Wir machen eine Tour und dann im November werde ich wieder nach Ägypten ziehen und zusammen mit Nico Sabbet, Transglobal und einigen ägyptischen Musikern an meinem vierten Album arbeiten.

Vielen Dank.


natacha atlas links
www.natachaatlasofficial.com    official Homepage
www.transglobalunderground.net    transglobal underground homepage


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last update: 19. may 2020
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