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Fun'da'mental live im 
                	  	  Huxley's Jr. '98Fun'da'mental live im Huxley's Jr. '98Fun'da'mental live im Huxley's Jr. '98

fun'da'mental

Seit 1991 verpacken Fun'da'mental ihre politische Gesellschaftskritik in musikalisches Geschenkpapier, damit sich beim Zuhörer nicht nur außerhalb sondern auch innerhalb des Kopfes etwas bewegt. Die Musikrichtung der international besetzten Band reicht dabei von Hip Hop über Dub bis hin zu Big-Beat, angereichert mit ethnischen Klängen. Ihr neuestes Album "Erotic Terrorism", das im Frühjahr '98 veröffentlicht wurde, ist sehr hart und erinnert titelweise an The Prodigy.
Auf der Bühne liefern Fun'da'mental eine mitreißende energiegeladene Live-Show, die dem Publikum die ganze Frustration und den Ärger über die bestehenden Verhältnisse in der Welt klarmacht. Am 13.05.1998 waren Fun'da'mental im Berliner "Huxley's Jr." live zu sehen, wo wir für Electrigger #2 neben dem Konzert auch ein Gespräch mit den Bandmitgliedern Dave Watts und Aki Nawaz aufnehmen konnten:


Fun’da’mental ist ein sehr politisches Projekt. Gab es einen speziellen Grund, Fun’da’mental zu gründen?
Aki: Ich denke nicht, daß sich Fun’da’mental nur um unsere persönlichen Erfahrungen dreht. Es geht auch um andere Leute und wie sie behandelt werden; Ungerechtigkeit und derartige Dinge. Es geht nicht nur um mich oder um ihn oder sonst jemanden. Es geht um das ganze politische System, das überall um uns besteht; egal ob in England, Europa, Pakistan, Indien oder Afrika. Viele Ungerechtigkeiten werden einfach nicht beachtet und das macht uns frustriert und ärgerlich. Weißt Du, wir lesen viel, wir bekommen viel Informationen, und wir möchten das weitergeben und andere Leute treffen, die sich genau wie wir fühlen. Das ist auch nicht nur ein englisches Ding, denn es ist langweilig nur über England zu reden.

Wann genau habt Ihr beschlossen, Fun’da’mental zu gründen?
Aki: Der Hauptgedanke kam mir, als ich 1990 in New York war. Ich war in der Bronx, Brooklyn usw., Und ich habe da die Ghettos gesehen, und alle Leute dort waren farbig! Das war ein Schock für mich! Da ist Amerika, das große Land der Gleichheit und Gerechtigkeit; und selbst 1990 werden dort immer noch farbige Menschen wie Tiere behandelt! Dazu kamen noch andere Geschichten. Ich habe mich viel mit anderen Menschen unterhalten und habe viele Sachen gehört, daß ihre Kultur, ihre Religion, ihre Identität zerstört wurden.
Manche von diesen Geschichten erinnerten mich an die Zeit als ich in England aufwuchs. Damals passierten dieselben Sachen; die Leute sagten: "Du bist schwarz. Du ißt seltsames Essen..." Wißt Ihr, das war bizarr. Religion, Kultur, Tradition, all das wurde zerstört. Vom politischen System, dem Familiensystem usw. Ich hatte damals schon mit Musik zu tun und dachte: "OK, ich will nichts Belangloses machen, keinen Mainstream, Pop interessiert mich nicht. Ich will etwas mit Substanz machen." All das gab mir die Substanz, die die Sache wert war.
Aus künstlerischer Sicht suchen wir nach neuen Sounds, verschiedenen Sounds aus verschiedenen Ländern, Kulturen, Traditionen. Das bringt man dann zusammen und erzeugt ein großes Gewirr, das miteinander harmoniert. Und das ist auch schon wieder politisch. Wir entschuldigen uns nicht dafür, daß wir politisch sind. Wir sagen nicht: "Oh, wir sind nicht politisch, bloß eine Band, die erfolgreich sein will." Damit kann ich nichts anfangen. Das mag vielleicht zu einem Problem für die Band werden, aber wir sind glücklich damit. Wir wollen ehrlich sein mit dem, was wir tun.

Nicht wie andere Bands, die nur Spaß haben wollen...
Aki: Was auch in Ordnung ist. Es gibt da sicher auch gute Musik, aber ich will nicht so sein, also warum sollte ich? Ich war früher schon in Bands, die auch recht erfolgreich waren, aber das war nichts für mich. Du gehst zu Parties, die Leute fahren auf Dich ab, solange Du Erfolg hast, aber später kennt Dich keiner mehr. Wer braucht sowas?

Dave: Das ist die Normalität. Darum geht’s bei uns. Wir sprechen über Dinge, die auch den normalen Mann angehen. Es sind Alltäglichkeiten, z.B. der Angriff auf Kultur und Religion. Das sind Themen für jedermann. Da sagt man nicht, das seien Probleme anderer Leute. Manches davon betrifft alle Aspekte der Gesellschaft.

Aki: Die meisten älteren Leute vermissen ein Feindbild, gegen das wir kämpfen. Und eine Popband sein... Ich glaube nicht, daß wir charakterlich unsicher sind und Aufmerksamkeit brauchen. Weißt du, wir sind OK. Wir sind alle ausgeglichen, wir haben Sinn für Humor, können aber auch ernst sein. Das ist OK, also wer braucht Pop?

Sollten Eure Fans Eure Einstellung teilen?
Aki: Wir verlangen von niemandem, daß er unserer Meinung sein sollte. Ich denke nicht, daß wir so starre Vorstellungen haben. Wir haben flexible Ideen. Wir sagen den Leuten: "Denkt einfach nach, seht Euch um und benutzt Euren Verstand!" Du brauchst keine Bücher lesen oder gar in die Bibliothek gehen, Du brauchst auch keinen Kurs in einer Universität zu besuchen. Du siehst Dinge, hörst Dinge, siehst fern und hörst, worüber die Leute reden.
Für Politiker ist Politik ein Spiel. Sie nehmen Sachen nicht persönlich, weil sie professionell sind; sie sind Anwälte, Akademiker, also trennen sie ihre Arbeit von ihren Gefühlen. Meiner Meinung nach sollte sich Politik aber um Gefühle drehen. Wenn Du Gefühle hast, dann hast du eine gute Sicht der Dinge, Du kannst aus einer negativen Gesellschaft eine positive machen.
Die Leute sagen, wir haben eine Demokratie, aber ich frage, was für eine Demokratie? Überall, wo ich Demokratie sehe, sehe ich Faschismus! Amerika hat den CIA, die Geheimpolizei! Und es hat unzählige Untergrundorganisationen, die die Medien und das Handeln der Leute kontrollieren, es hat die Fernseh- und Zeitungsbosse. Sie bestimmen die Wirtschaft und schauen, wie sie noch mehr Geld verdienen können. Der normale Mann auf der Straße kriegt davon nichts mit.

Dave: Er ist blind für die Dinge, die um ihn herum passieren. Aber wenn Du bestimmte Verhältnisse einmal genauer betrachtest, kannst du die Verbindung sehen. Es gibt immer eine Verbindung, und Du kannst sehen, wer den Vorteil zieht, wer das Geld macht und wer leiden muß.
Ich habe gerade erst gelesen, daß Nigeria große Schulden in England und Amerika hat. Sie schulden England 8 Mio. Pfund. Ein afrikanisches Land schuldet Großbritannien 8 Mio. Pfund! Bei uns gibt es eine wöchentliche Lotterie. Man stelle sich vor: Eine einzige Person kann dort 10 Mio. Pfund gewinnen. Und wir bedrängen dieses Land wegen 8 Mio.! Dann heißt es: "Ihr zahlt besser, oder wir müssen uns um Euch kümmern, Euch ein finanzielles Paket schnüren. Ihr braucht Flugzeuge, Ihr braucht dies, Ihr braucht das!" Später heißt es dann: " Yeah! Die englischen Exportraten sind gestiegen." Du verfolgst die Verbindung zurück und merkst, es betrifft auch Dich, denn es sind Deine Steuern, mit denen so etwas subventioniert wird.

Aki: Darum sollte man keine Steuern zahlen, solange man nicht weiß, wo sie hinfließen.

Und dann kommst Du ins Gefängnis...
Aki: Spielt keine Rolle. Wie viele Leute können sie denn einsperren? Es brauchen nur genug Leute keine Steuern mehr zahlen, und die Regierung muß damit aufhören und anfangen, nachzudenken. DAS ist Demokratie. Demokratie bedeutet Anteilnahme des Volkes. Nicht einfach zur Wahl gehen und damit die Verantwortung von sich weisen!

Das ist richtig, aber diese Regeln wurden doch irgendwann von den Menschen aufgestellt, und in einer Demokratie hat diese Regeln ja auch nicht nur ein einzelner Mensch gemacht...
Aki: Richtig, es waren viele, die die Regeln aufgestellt haben, aber wir wollen positive Politik. Es heißt, in Deutschland sei der Faschismus wieder aufsteigend und die Menschen hier sagen: "Die bösen Fremden nehmen uns die Arbeit weg." Aber wenn Du in die Geschichte siehst, dann hatte jedes Land seine gute und schlechte Zeit. Afrika hatte früher eine gute Zeit, dann Asien und China, und dann kam Europa, doch dessen Zeit ist langsam vorbei. Das liegt aber nicht an den Menschen hier. Deutschland, England oder Frankreich profitieren immer noch von der Kolonialzeit, sie machen immer noch Geld. Ich frage mich, wieviel Geld England in all den Jahren aus Nigeria herausgeholt hat. Die gesamte Politik hängt zusammen, und darüber sprechen wir. Es gibt da eine massive Krise im Sudan, und es heißt, daß die Menschen dort in 2 Wochen abgemagert sind. Aber so etwas passiert nicht in 2 Wochen. Dafür braucht es monatelangen Hunger.

Dave: Manche Kriege dauern schon seit 15 Jahren an...

Aki: Warum sieht man immer farbige Menschen, wenn man Menschen leiden sieht? Du siehst blutende Kinder, abgemagerte Mütter, die ihren Kinder nicht mal die Brust geben können. Warum ist das so? Auf der untersten Ebene gibt es diese Organisation, den IMF (International Monetary Fond), die die Regierungen in der ganzen Welt kontrolliert. Solange diese nicht die amerikanische Politik, ihre Propaganda kaufen, sehen sie kein Geld. Die Quellen werden abgeschnitten, es wird Druck ausgeübt. Es werden die eigenen Leute in der Regierung plaziert, die dann nicht mehr das Volk sondern die amerikanische Politik vertreten. Das ist bescheuerte Politik. Menschen leiden, aber die kümmert es nicht. Es gibt keinen Grund, warum Menschen in Afrika leiden sollten. Es gibt genug Geld, genug zu essen, jeder sollte eigentlich einen bestimmten Lebensstandard haben können.

Dave: Das Paradoxe ist: ich bin nicht gewalttätig. Ich bin gegen jede Form von Gewalt, aber je mehr ich höre oder lese, was vor sich geht, desto ärgerlicher werde ich und sage: "Ich will diese Leute töten, ich will Bill Clinton töten. Margaret Thatcher gehört gekreuzigt. Ihr Sohn, Mark Thatcher, macht soviel Geld in Südafrika, ihr Mann ist so verdammt reich..."

Aber denkt Ihr, das ist der richtige Weg?
Dave: Nein, aber wir fühlen so! Und manchmal denke ich auch, er ist es, weil etwas getan werden muß. Warum ich das sage: Mein Leben, das von Millionen Menschen: wertlos. Und diese Leute werden dafür bezahlt. Sie machen aus Geld noch mehr Geld.

Hilft Euch die Musik, Eure Sache, Euren Geist zu befreien?
Dave: Es ist ein Weg das herauszulassen... Man fragt sich einfach, was man machen kann.

Aki: Etwas wird passieren. Irgendwann ist die Grenze erreicht und dann wird etwas getan werden. Und wenn jemand etwas tut, kannst Du nicht einfach sagen, er sei ein Terrorist. Die Sache, an die er glaubt, für die er kämpft, ist vielleicht richtig. Das, was er tut, mag allerdings nicht das richtige sein. Was er allerdings tut: Er vergleicht seine eigene kleine Welt mit der großen. Das, was er tut, ist minimal im Gegensatz zu dem, was andere machen. Ich spreche dabei über jede Form von Terrorismus. Die Regierungen machen viel Propaganda dagegen, aber sie üben viel mehr Terrorismus aus.
Zur Musik: Ich denke, es steckt viel Ärger und Frustration drin. Aber ich glaube nicht, daß wir soviel erreichen, wie wir wollen. Da bin ich realistisch. Aber ich weiß, ich habe etwas getan, und das könnte andere Menschen ermutigen, auch etwas zu tun. Revolutionen haben noch nie mit Millionen von Leuten begonnen, es waren immer nur wenige am Anfang. Junge Leute sollten miteinander reden, sich organisieren. Du kannst auch z.B. Amnesty International beitreten, aber die sind mir zu passiv. Ich denke, man sollte viel mehr Wut herauslassen.

Ja, ich denke auch, daß es gerade in den 90ern zu wenig Wut in Europa gibt.
Aki: Ja, das muß definitiv mehr werden. Wenn z.B. in Deutschland der Faschismus wieder stärker wird, werden es nicht nur die türkischen Bürger oder die Araber sein, die betroffen sind. Denn sie haben noch ein Land, in das sie gehen können. Aber was ist mit Dir? Aber was ist mit den Deutschen, die ihre Freiheit lieben? Diese werden die Opfer sein. Deswegen kannst Du nicht warten. Du mußt etwas beginnen, mit Gleichgesinnten reden, Verbindungen knüpfen und Aktionen starten... Du mußt die Propaganda bekämpfen, cleverer sein. Und genau das tue ich in diesem kleinen Rahmen namens Fun’da’mental.

Vor ca. einem halbem Jahr gab es bei uns Streit zwischen den Unis und den Studenten. Es gab große Versprechungen, doch jetzt ist wieder alles beim alten...
Aki: Aber es wird etwas passieren. Es gibt kein Timing für so etwas. Es wird einfach passieren. Vielleicht hier in Berlin, vielleicht in München oder sonstwo, aber Du wirst dabeisein und es unterstützen. Wir sind schließlich nicht organisiert. Parteien sind organisiert, die haben das Geld dafür, aber wir haben Instinkte und Gefühle. Es gibt Menschen, die etwas tun, und nach denen muß man suchen und dann schauen, ob ihre Aktivitäten Deinen Gefühlen entsprechen.

Kannst Du so etwas wie eine Bewegung ausmachen, die von Fun’da’mental ausgelöst wurde? In Großbritannien habt Ihr wahrscheinlich ein größeres Publikum...
Aki: Das ist schwierig. Wir sind so radikal, im positiven Sinn, das uns die Leute nur schwer akzeptieren können. Sie sagen: "die sind zu politisch und zu radikal", aber wir sind nur ehrlich. Politik ist unsere Passion, und die Musik.
Ich denke, England funktioniert in Trends, alles ist eine Modeerscheinung. Vielleicht werden wir einmal allgegenwärtig sein: wir sind in den Medien, die Leute kommen zu unseren Konzerten - aber danach suchen sich die Leute wieder etwas anderes. Daran sind wir nicht interessiert. Ich denke, die Leute, die zu uns kommen, seien es nur zwei oder auch Tausende, fühlen auch vorher schon etwas, denn das ist wichtig. Ich habe z.B. einen Brief von jemandem gekriegt, in dem stand: "Das neue Album ist brillant. Es ist hart, nicht nur Ethno-Sounds. Ihr zerbrecht Stereotypen, macht das, was Ihr tun wollt." Dieser eine Brief ist für mich wichtiger, als 100 Platten zu verkaufen. Wir existieren nicht unbedingt im Untergrund, aber auf einer tieferen Ebene. So gehen wir mit Dingen um. Wir reden über reale Dinge.

Würdest Du Dich freuen, wenn Eure Musik die gleiche Kraft hätte wie Punk in den 70ern?
Aki: Ich denke, die hat sie.

Ja, aber doch nur im Untergrund...Vielleicht könntet Ihr mehr Leute erreichen.
Aki: Was heißt das, mehr Leute erreichen? Wenn das passieren sollte, wird es von selbst geschehen. Unsere Absicht ist es, auf der Bühne möglichst viele Stile miteinander zu verbinden: Traditionelles, aber auch härtere Sachen wie Punk, Hardcore oder Metal. Wenn daraus eine große Sache wird, dann wird das von selbst passieren. Weißt Du, die Leute haben ein Problem mit unsere Hautfarbe. Wenn wir eine weiße Band wären und genau dasselbe machen würden, würden sie wohl sagen: "Wow, das ist es: Radikal, militant, revolutionär. Muß man hören!" Nimm Bands wie die Levellers oder New Model Army; die Leute sind verrückt danach. Wir machen genau denselben Scheiß, aber auf eine andere Art. Wir wollen auch gar nicht so klingen wie diese Bands, wir wollen niemanden kopieren. Wie ich schon sagte: Da ist dieser große Kuchen mit den Früchten des Erfolgs... Ich will ihn nicht. Weg damit!

Ja, für Dich gibt es Wichtigeres als Geld und Erfolg.
Aki: Die Wahrheit ist: Wir verkaufen nicht viele Platten. Aber wir spielen auch auf großen Festivals, und ich denke, solange wir dort existieren können, OK.

Könnt Ihr denn von der Musik leben?
Aki: Nicht wirklich, aber wir sind ja auch nicht extravagant, wir leben einfach. Du kennst das: "Ich habe Familie, Kinder, ich muß sie versorgen, ich brauche ein Haus..." Ich bin zufrieden, ich brauche nichts weiter. Es gibt Menschen, die sagen, Du mußt Karriere machen, Millionen scheffeln, du mußt härter arbeiten, damit Du irgendwann einen Ferrari fährst... Fuck! Versteht Ihr, sowas will ich nicht. Man kann die Charts stürmen, viel Geld machen, aber das will ich nicht. Das interessiert mich ehrlich nicht, weil ich weiß, daß ich dann keine Verbindung zum Publikum aufbauen kann. Wenn hier heute abend 10, 20 Leute kommen, dann weiß ich, wie ich eine Beziehung aufbauen kann, vielleicht auch bei 100, 200. Wenn ich aber vor Tausenden spiele, dann...

Ist es nur noch eine große Masse, man sieht keine Gesichter mehr.
Aki: Du siehst niemanden, Du interagierst nicht, Du sprichst mit niemandem. Das ist Fast-Food-Propaganda, darum kümmere ich mich nicht.

Ja, Du hast Deinen Weg gefunden... Aber das Problem für die meisten Menschen ist doch, daß man sich doch bis zu einem gewissen Grad an das System anpassen muß, denn man braucht doch Geld zum Leben.
Aki: Weißt Du, ist man noch jung und unverheiratet, dann denkt man, es ist idiotisch, zu arbeiten, Geld zu verdienen. Aber heiratet man, dann hat sich die Situation verändert. Natürlich brauchst Du Geld. Ich habe kein Problem mit Geld. Ich habe auch kein Problem mit reichen Leuten, aber ich will nicht reich sein. Ich denke nur, es sollte fair bleiben. Du hörst, da hat jemand viel Geld, und du hast viel weniger, dann fragst Du Dich: "Wofür braucht der soviel?" Es heißt immer, reiche Leute schaffen Arbeitsplätze, aber das ist Unsinn, denn Maschinen tun die Arbeit. Da werden keine Arbeitsplätze geschaffen, sondern größere Fabriken mit Maschinen und Robotern, die nicht streiken... Aber jeder soll sein eigenes Leben führen, da hab’ ich kein Problem mit... Es kommt vor, daß ich Taxi fahre, und dann fängt der Fahrer an, mir von sich zu erzählen und ich denke: "Wow! Der Typ ist gar nicht so dumm." Ich erzähle das, weil Du von Problemen sprachst. Es gibt viele Leute, die so denken wie ich und trotzdem durchs Leben kommen.

Das ist sehr optimistisch...
Aki: Das muß ich sein. Aber ich bin zugleich auch realistisch.

Aber in ein paar Jahren werden wir doch Riesenprobleme in Europa haben, wegen der Arbeitslosigkeit?
Aki: Na klar, aber das gehört zur Industrialisierung. Es muß so kommen, denn es wird noch schlimmer werden. Und der einzige Grund dafür ist: Technologie. Das ist der Preis, den wir für unsere Technologie zahlen müssen. Warum investieren so viele Firmen in Asien? Fast alles wird von dort importiert. Das schafft dort Arbeitsplätze, allerdings sind die Arbeitskräfte dort viel billiger, also läßt sich so noch mehr Geld machen. Allerdings ist das nur eine Handvoll Menschen, die davon etwas sieht. Die ganze Wirtschaft wird kollabieren, weil sie ihr Geld woanders machen will. Die wissen, daß sich z.B. hier in Deutschland niemand für dumm verkaufen läßt und für 20,- DM am Tag arbeitet. Aber sie können indische Menschen verarschen und sie für nur 1,- DM am Tag arbeiten lassen.

Und die sind auch noch glücklich...
Aki: Klar, für die ist 1,- DM der Wahnsinn. Und das ist der Grund, warum hier so viele Menschen arbeitslos sind.

Ja, schon klar, aber deswegen sage ich ja, daß es vielleicht in 20 Jahren zu massiven Problemen kommen wird.
Aki: Es wird noch viel schneller gehen. Was die Menschen tun sollten: Sie sollten sich ihre Rucksäcke auf den Rücken schnallen und in der Welt herumreisen, denn die Wirtschaft wird nur global überleben. Man sollte mit den Menschen in Afrika reden, auf einem Niveau. Die Menschen sollten weltweit ermutigt werden, herumzureisen. Reisen ist sehr lehrreich; ein sehr spiritueller Weg, um andere Menschen, andere Konzepte kennenzulernen. Bei uns in England fahren die Leute jedes Jahr nach Teneriffa. Wozu? Mann kann nach Afrika, Indien, sonstwohin, fremde Menschen, fremde Kulturen kennenlernen. Das ist doch viel interessanter. Aber ja, globale Wirtschaft, das muß sein. Aber es muß gerecht sein. Europa sollte endlich anfangen, von seinem hohen Roß herunterzukommen und einen Dialog und Austausch mit anderen Ländern starten, um die wirtschaftlichen Probleme - auch die in Europa - zu lösen. Wenn sich Europa aber abschottet, dann wird sich z.B. Afrika auch abschotten...

Ja, Europa denkt dabei aber nur an die europäischen Länder, damit sie sich gegen Japan und Nordamerika behaupten können...
Aki: Aber Amerika ist noch etwas anderes, denke ich. Fahr zur Hölle, Amerika! Deren Auslandspolitik, die Wirtschaft...

Habt Ihr schon in Amerika gespielt?
Aki: Ja, wir haben auch schon große Tourneen angeboten bekommen, aber ich mag Amerika einfach nicht. Das politische System dort macht mich einfach ärgerlich.

Ich habe auch schon einiges über das amerikanische System gelesen.
Aki: Ja, aber es gibt nur wenige Leute, die solche Bücher lesen.

Vielleicht ist denen so etwas zu kompliziert, keine einfachen Messages, keine Slogans...
Aki: Weißt Du, in den 60ern, 70ern gab es viel liberales Gedankengut, aber viele intelligente Leute, die das System bekämpft haben, wurden von ihm gekauft. Du sagst jetzt vielleicht: "Ach, Verschwörungstheorie", aber es gibt Verschwörungen und wir wissen das. Sogar die Bewegung für abstrakte Kunst in Amerika wurde vom CIA gegründet, um gegen Kunst aus Rußland anzukämpfen. Rußland war stark damals, und junge Leute haben sich für den Symbolismus russischer Kunst interessiert. Also hat man eine Gegenbewegung geschaffen. Ich versuche einfach, den Leuten zu sagen, sie sollen miteinander reden, sie sollen sich keine Ignoranz verkaufen lassen, denn die ist zu billig.

Dave WattsDave und AkiAki Nawaz

Hattet Ihr schon Probleme mit der Zensur?
Aki: Wir hatten ein Video, "Dogtribe", das nicht im Fernsehen gezeigt wurde. So nach vier, fünf Wochen hat man sich dann entschlossen, es nach 22 Uhr zu zeigen. Es zeigte nur einen faschistischen Angriff, aber man sagte, es sei zu brutal, aber das ist es nicht. Schwarzenegger oder Bruce Willis ziehen los und killen 50 Billionen Araber in einer Sekunde in einem Film, den Kinder sehen dürfen. Aber dieses Video, das ist die Realität, und die Kinder fragen sich vielleicht, was da passiert. Sie gehen zu ihren Eltern und die sagen ihnen, daß das falsch ist. Also wachsen sie mit der Gewißheit auf, daß Rassismus falsch ist. Wenn Du aber versuchst, das Konzept Antirassismus durchzusetzen, wirst Du feststellen, daß noch immer viele Menschen dagegen sind. Es gibt immer noch Menschen in gewissen Positionen, die dagegen sind. Ich frage mich, zu wessen Vorteil.
Weißt Du, das, was ich sage ist nichts Neues. Es gab viele Leute vor mir, und es wird viele Leute nach mir geben, die so denken. Das ist kein großer Denkprozeß, es geht einfach um Gerechtigkeit und Gleichberechtigung; das ist nicht schwer und es gibt genug Leute, die die Dinge verändern wollen. Denkt man über Rassismus nach, glaubt man, daß es eine einzelne Angelegenheit ist, aber das ist nicht so. Es umfaßt die Wirtschaft, den Kapitalismus, Politik und auch Propaganda bei jungen Menschen, denen Mist erzählt wird. Rassismus ist wie ein großes Buch; er kann nicht oberflächlich betrachtet werden. Ich hasse Materialismus, Militär, Soldaten, Gewalt, die benutzt wird, um sich und seinen Frieden zu schützen. So ist aber die Demokratie. Vieles davon ist Faschismus; es gibt ihn überall, in Amerika, England; junge Menschen sehen sowas, das Militär, die Fahnen und identifizieren sich damit.

Was ist mit anderen Ländern? Zum Beispiel Indien mit seinen Atomtests vor einigen Tagen...
Aki: Das Problem sind die Atomwaffen, die sind überflüssig. Amerika z.B. gilt in der ganzen Welt als mächtig, aber für mich ist es das bösartigste, ungerechteste und am meisten ausbeutende Land der Welt, weil es sein Unrecht auch noch weiter verbreitet.
In Pakistan, wo ich herkomme, werden Atombomben gebaut während die Leute hungern; drei viertel des Jahresetats Pakistans werden für das Militär ausgegeben, obwohl dort die Kinder Müll sammeln müssen, damit sie etwas Geld zum Überleben haben. Die Regierung von Pakistan ist Mist, auch die in Indien ist Mist. Ich bin Pakistani, aber ich gebe nichts auf Politiker. Ich denke, in Pakistan sind die genauso schlimm wie die Amerikaner, Briten, Deutschen usw.

Du hast ein eigenes Label gegründet, Nation Records. Waren die Beweggründe dafür ähnliche, wie auch für Fun’da’mental?
Aki: Unser Label wurde mehr aus musikalischen Absichten gegründet. Es sollte die Leute ermutigen, die normalen Regeln des Musik-Business zu durchbrechen und westliche Musikstile mit verschiedenen anderen Kulturen und Traditionen zu verbinden. Es gibt zwar schon lange so was wie "World-Music", aber das ist mehr etwas für ältere Leute. Ich wollte diese Musik mit modernen Elementen wie Hip-Hop oder Rock verbinden. Dann wird das ganze zugänglicher für die Jugend.
Das ist das, was wir uns vorstellten und seit 1988 mit Künstlern wie Transglobal Underground, Natacha Atlas, Asian Dub Foundation, Talvin Singh, Joi, TJ Rehmi und vielen anderen auf Nation machen. Es ist einfach ein Experiment...

Genau so bin ich auch über Eure Platten auf World-Music gekommen: Zuerst habe ich eine CD von Transglobal Underground gehört und habe mir dann noch mehr Platten von Nation gekauft - und letztendlich begann ich mich auch für die Originalmusik zu interessieren...
Aki: Das ist genau das, was wir wollen. Wir geben den Jugendlichen traditionelle Musik auf eine Art, mit der sie etwas anfangen können. Sie gehen dann zurück, und hören sich die Wurzeln unserer Musik an und sagen vielleicht: "Fuck Nation Records! DAS ist das echte Ding!" So etwas macht mich glücklich, weil es wirklich das echte Ding ist. Nation Records hat kein Ego in dem Sinn. Wir wollen nicht die Größten sein. Nation Records dient einem Zweck. Gut, dir gefallen unsere Sachen vielleicht auch danach noch, aber Du bist zu den Wurzeln zurückgegangen. Das war unsere Absicht.

Und ich habe dadurch meinen Horizont erweitert...
Aki: Ja, auf jeden Fall. Das kann Dir auch politisch weiterhelfen, denn Du begreifst, woher manche Sachen kommen. Viele Stile, wie Blues, Rock’n’Roll, Gospel wurden aufgrund von Nation Records bekannter. Es gibt so viele verschiedene gute Musik, und die möchte ich weitergeben.

Zwischen Eurer ersten und zweiten Platte verging viel Zeit. Arbeitet Ihr kontinuierlich an Fun’da’mental, oder gibt es noch andere Projekte?
Dave: Nachdem wir das erste Album veröffentlicht hatten, waren die Dinge recht schwer für uns. ’94 und ‘95 waren wir sehr viel unterwegs. Und als wir uns immer mehr mit Politik beschäftigten, sahen wir nur Unrecht um uns herum und es wurde immer mehr und mehr. Wir brauchten dann erst mal etwas Abstand von allem, sonst wären wir wohl übergeschnappt. Zudem gab es da auch noch private Dinge, wir mußten uns um unser Label kümmern, lauter verschiedene Sachen. Das alles hat dann 4 Jahre gedauert.

Wie arbeitet Ihr? Seid Ihr alle gleichberechtigt oder gibt es so eine Art Mastermind?
Dave: Normalerweise reden wir erst einmal, diskutieren über die Dinge, die in der Welt passiert sind. Daraus entstehen dann die Themen für die Texte. Später probieren wir verschiedene Sounds und Rhythmen aus; jeder zeigt den anderen seine Ideen. Daraus entsteht die Musik. Wenn diese dann aufgenommen ist, fällt einem dazu ein passendes Thema ein. Wir haben verschiedene Sänger; jeder kann sich einen Track aussuchen, zu dem ihm etwas einfällt. Sie brauchen sich dabei nach niemandem zu richten, können zum Ausdruck bringen, was sie wollen. Wir sagen nur: "OK, hier ist der Track, mach was daraus!"

Ihr macht sehr unterschiedliche Musik, mal langsam, mal härter... Hängt das von Eurer Message ab, die Ihr rüberbringen wollt, oder davon, wie Ihr Euch gerade fühlt?
Dave: Es hängt davon ab, wie wir uns fühlen. Machmal hörst Du nur Streicher und Gesang, und das beruhigt Dich. Du hörst eine Platte und es ergreift Dich einfach. Du willst dann diesen ganz bestimmten Sound rauswerfen, weil Du weißt, Du hast ihn auf Deinem Plattenspieler. Du willst ihn nehmen und an andere Leute weitergeben. Das ist es. Du nimmst hier ein Stück, da ein Stück und schaust, wie es zusammen funktioniert. Letztendlich fängst Du eine Emotion auf und gibst sie in einer neuen Form weiter...

Habt Ihr noch mit anderen Projekten zu tun?
Dave: Jeder von uns macht sein persönliches Ding. Johnny der die Dhol-Drum spielt, hat die "Dhol Foundation". Eine Organisation, die anderen Leuten beibringt, wie man die Dhol spielt, und auch über die Geschichte der Dhol informiert. Unser Sänger Nawazish Ali Khan, der auch Violine spielt, ist ein klassisch ausgebildeter Musiker und unterrichtet ebenfalls, gibt aber auch seine eigenen Performances. Ich bin nebenher noch DJ und singe auch für ein paar andere Leute. Und ich habe auch bei Nation etwas zu tun, z.B. auch als DJ bei unseren "Global Sweatbox"-Partys. Der ganze Gedanke hinter Nation Records war einfach, die Leute tun zu lassen, was sie wollen. Drückt Euch aus! Experimentiert, macht, was auch immer!

OK, das war’s. Vielen Dank.


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last update: 19. may 2020
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